Dienstag, 1. Dezember 2009

Predigt von Papst Benedikt XVI. zum 1. Adventsonntag 2009


„Ist es vielleicht nicht wahr, dass es oft gerade die Geschäftigkeit ist, die von uns Besitz ergreift? Ist es vielleicht nicht so, dass man viel Zeit dem Vergnügen und den Zerstreuungen verschiedenster Art widmet? Bisweilen „überwältigen“ sie uns.“
Predigt von Papst Benedikt XVI.

Petersdom – I. Vesper am 1. Adventsonntag 2009

Liebe Brüder und Schwestern!
Mit dieser Feier der Vesper treten wir in die liturgische Zeit des Advents ein. In der Lesung aus dem Ersten Brief an die Thessalonicher, die wir soeben gehört haben, lädt uns der Apostel Paulus ein, „das Kommen Jesu Christi, unseres Herrn“ (5,23) vorzubereiten, indem wir uns durch die Gnade Gottes „ohne Tadel“ bewahren. Paulus benutzt gerade das Wort „Kommen“, auf Latein adventus, woher das Wort Advent stammt.
Denken wir kurz über die Bedeutung dieses Wortes nach, das mit „Gegenwart“, „Ankunft“, „Kommen“ übersetzt werden kann. In der Sprache der Welt der Antike handelte es sich um einen Fachbegriff, der benutzt wurde, um die Ankunft eines Beamten, den Besuch eines Königs oder des Kaisers in einer Provinz zu auszudrücken. Er konnte jedoch auch das Kommen der Gottheit bezeichnen, die aus ihrer Verborgenheit hervortritt, um sich machtvoll zu zeigen, oder als im Kult anwesend gefeiert wird. Die Christen verwandten das Wort „Advent“, um ihre Beziehung zu Jesus Christus zum Ausdruck zu bringen: Jesus ist der König, der diese arme, Erde genannte „Provinz“ betreten hat, um alle zu besuchen; am Fest seiner Ankunft lässt er alle teilhaben, die an ihn glauben, die an seine Gegenwart in der Versammlung des Gottesdienstes glauben. Mit dem Wort adventus wollte man im Wesentlichen sagen: Gott ist hier, er hat sich nicht aus der Welt zurückgezogen, er hat uns nicht allein gelassen. Auch wenn wir ihn nicht sehen und nicht berühren können, wie dies bei den sichtbaren Wirklichkeiten geschieht, ist er hier und kommt, um uns auf vielfältige Weisen zu besuchen.
Die Bedeutung des Wortes „Advent“ umfasst also auch jene der visitatio, was einfach und im eigentlichen Sinne „Besuch“ besagen will; in diesem Fall handelt es sich um einen Besuch Gottes: Er tritt in mein Leben ein und will sich an mich wenden. Alle machen wir in unserem alltäglichen Leben die Erfahrung, wenig Zeit für den Herrn und sogar wenig Zeit für uns selbst zu haben. Man endet dabei, vom „Tun“ aufgesogen zu werden. Ist es vielleicht nicht wahr, dass es oft gerade die Geschäftigkeit ist, die von uns Besitz ergreift, dass es die Gesellschaft ist, die mit ihren vielfältigen Interessen unsere Aufmerksamkeit in Beschlag nimmt? Ist es vielleicht nicht so, dass man viel Zeit dem Vergnügen und den Zerstreuungen verschiedenster Art widmet? Bisweilen „überwältigen“ sie uns.
Der Advent, diese starke liturgische Zeit, an deren Beginn wir stehen, lädt uns ein, in Stille einzuhalten, um eine Gegenwart zu begreifen. Er ist eine Einladung zum Verständnis, dass die einzelnen Ereignisse des Tages Winke darstellen, die Gott an uns richtet, Zeichen der Aufmerksamkeit, die er für einen jeden von uns hat. Wie oft lässt uns doch Gott etwas von seiner Liebe wahrnehmen! Es wäre eine schöne und heilbringende Aufgabe für unser Leben, sozusagen ein „inneres Tagebuch“ über diese Liebe zu führen! Der Advent lädt uns ein und regt uns an, den gegenwärtigen Herrn zu betrachten. Sollte uns nicht die Gewissheit seiner Gegenwart helfen, die Welt mit anderen Augen zu sehen? Sollte sie uns nicht helfen, unser ganzes Dasein als einen „Besuch“ zu sehen, als eine Art, in der er in jeder Lage zu uns kommen und uns nahestehen kann?
Ein weiteres grundlegendes Element des Advents ist die Erwartung, eine Erwartung die zugleich Zeit der Hoffnung ist. Der Advent drängt uns dazu, den Sinn der Zeit und der Geschichte als einen „kairós“ zu verstehen, als Augenblick, der unser Heil begünstigt. Jesus hat diese geheimnisvolle Wirklichkeit in vielen Gleichnissen erläutert: in der Erzählung von den Knechten, die eingeladen werden, die Rückkehr des Herrn zu erwarten; im Gleichnis von den Jungfrauen, die den Bräutigam erwarten; oder im Gleichnis von der Aussaat und der Ernte. In seinem Leben ist der Mensch in ständiger Erwartung: als Kind will er wachsen, als Erwachsener strebt er nach Selbstverwirklichung und Erfolg, im fortschreitenden Alter sehnt er sich nach seiner verdienten Ruhe. Es kommt aber die Zeit, in der er entdeckt, zu wenig gehofft zu haben, wenn ihm jenseits des Berufes oder der gesellschaftlichen Stellung nichts anderes zu erhoffen bleibt. Die Hoffnung zeichnet den Weg der Menschheit, für die Christen jedoch ist sie von einer Gewissheit beseelt: der Herr ist im Fluss unseres Lebens gegenwärtig, er begleitet uns und wird eines Tages auch unsere Tränen trocknen. Eines nicht fernen Tages wird alles seine Erfüllung im Reich Gottes finden, im Reich der Gerechtigkeit und des Friedens.
Doch es gibt sehr unterschiedliche Weisen des Wartens. Wenn die Zeit nicht von einer sinnerfüllten Gegenwart erfüllt ist, so läuft die Erwartung Gefahr, unerträglich zu werden; wenn man etwas erwartet, in diesem Augenblick aber nichts da ist, das heißt wenn die Gegenwart leer bleibt, so scheint ein jeder Augenblick, der vergeht, übertrieben lang zu sein, und die Erwartung verwandelt sich in eine zu schwere Last, da die Zukunft völlig ungewiss bleibt. Wenn hingegen die Zeit sinnerfüllt ist und wir in jedem Moment etwas Besonderes und Echtes wahrnehmen, so wird die Gegenwart durch die Freude der Erwartung kostbarer. Liebe Brüder und Schwestern, lasst uns intensiv die Gegenwart leben, in der bereits die Gaben des Herrn zu uns gelangen, lasst uns im Entwurf auf die Zukunft leben, auf eine Zukunft voller Hoffnung. Der christliche Advent wird auf diese Weise zu einer Gelegenheit, um in uns den wahren Sinn der Erwartung zu wecken, indem wir in das Herz unseres Glaubens heimkehren, das im Geheimnis Christi liegt, des über lange Jahrhunderte hinweg erwarteten und in Armut in Bethlehem geborenen Messias. Durch sein Kommen unter uns hat er uns das Geschenk seiner Liebe und seines Heils gebracht und fährt fort, dies zu tun. Er ist unter uns gegenwärtig und spricht so in vielfältigen Weisen zu uns: in der Heiligen Schrift, im Kirchenjahr, in den Heiligen, in den Ereignissen des alltäglichen Lebens, in der ganzen Schöpfung, die ihr Antlitz je nach dem ändert, ob er hinter ihr steht oder ob sie von den Nebeln ungewissen Ursprungs und ungewisser Zukunft überschattet wird. Unsererseits dürfen wir das Wort an ihn richten, bei ihm mit den Leiden vorstellig werden, die uns bedrücken, mit der Ungeduld und den Fragen, die uns aus dem Herzen emporquellen. Wenn er gegenwärtig ist, können wir auch dann hoffen, wenn die anderen uns keinerlei Unterstützung zusichern können, auch dann, wenn die Gegenwart mühselig wird.
Liebe Freunde, der Advent ist die Zeit der Gegenwart und der Erwartung des Ewigen. Gerade aus diesem Grund ist er in besonderer Weise die Zeit der Freude, einer verinnerlichten Freude, die kein Leid auslöschen kann. Die Freude ob der Tatsache, dass Gott Kind geworden ist. Diese unsichtbar in uns gegenwärtige Freude ermutigt uns, vertrauensvoll den Weg aufzunehmen. Vorbild und Stütze einer derartigen innigen Freude ist die Jungfrau Maria, durch die uns das Jesuskind geschenkt worden ist. Sie, die treue Jüngerin ihres Sohnes, erlange uns die Gnade, diese liturgische Zeit wachsam und eifrig in der Erwartung zu leben. Amen!

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